Konflikte als Chance erkennen – Ein Blogbeitrag von Ralf Kemler

Konflikte sind Chancen

Wir alle kennen sie und die wenigsten mögen sie: Konflikte.

Dabei sind sie so selbstverständlich, wie wir Menschen vielfältig sind. Konflikte sind einfach da – sie sind weder gut noch schlecht. Denn ein Konflikt besteht immer dann, wenn Individuen oder Gruppen unterschiedliche Interessen oder Sichtweisen haben. Wenn wir von einem Konflikt sprechen, dann meinen wir jedoch zumeist eine bestimmte Phase oder einen Moment der “Uneinigkeit”. Es geht um einen Zeitraum, in der beiden Seiten in den Konflikt getreten sind. Dieser kann weiter eskalieren, wenn wir nichts dagegen tun. Doch dazu muss es nicht zwangsläufig kommen. Entscheidend ist unsere innere Haltung im Konflikt. Dazu müssen wir uns bewusst machen, was während eines Konflikts bei den beteiligten Menschen unterbewusst abläuft.

Es liegt an uns, Konflikte als Chance zu erkennen.

Unsere Haltung – unser Anteil

Meist entscheiden wir uns nicht bewusst, einen Konflikt einfach respektvoll zu benennen, statt direkt in den Konflikt einzusteigen. Wir tun das, weil wir an die eine richtige Lösung oder Sichtweise glauben – geleitet von unserem subjektiven Gefühl oder Gerechtigkeitsempfinden. Erst wenn wir diese Subjektivität verstehen und akzeptieren, wird uns auch klar, dass wir nicht jeden Konflikt zwangsläufig lösen müssen.

Ja, wir können uns einig sein, dass wir unterschiedliche Interessen und Sichtweisen haben, ohne dass ein Konflikt eskalieren muss. Grundvoraussetzung dafür ist gegenseitiger Respekt. Es geht um den aufrichtigen Wille, die andere Seite zu sehen und verstehen zu wollen. Auch wenn wir anderer Meinung sind, auch wenn wir nicht einverstanden sind, brauchen wir eine innere Haltung, die verstehen will. Ansonsten beziehen wir viel zu schnell Position. Noch bevor wir unsere Position äußern, haben wir sie aufgrund unserer Denk- und Glaubensmuster innerlich längst bezogen. Und da wir unterbewusst nach Bestätigung für unsere Position suchen, schließen wir die andere Perspektive aus und mit ihr auch mögliche Lösungsoptionen.

Der Gegenpol – Harmonie um jeden Preis – ist auch keine Lösung. Die Eskalation von Konflikten verhindern wir nicht, indem wir sie leugnen. Das bedeutet dann nämlich, dass wir die Unterschiedlichkeit ignorieren, statt sie zu respektieren. Damit fühlt sich die andere Seite nicht gesehen und die Eskalation ist vorprogrammiert.

Die Dynamik des Konflikts

Im Konflikt reagieren wir nur noch auf Reaktionen der anderen Seite. Ein Teufelskreis mit zunehmender Eskalation entsteht. Daher erkennen wir uns nach der heißen Phase eines Konflikts häufig selbst nicht wieder. Das ist auch der Grund, weshalb es in Konflikten nicht zielführend ist, nach dem einen auslösenden Moment zu suchen. Sobald eine Konfliktpartei diesen Punkt benennt, wird die andere Seite zu verstehen geben, dass dieses Verhalten vielleicht überzogen, aber nur die logische Reaktion auf eine Reaktion gewesen sei.

Wenn wir uns auf die Suche nach dem Auslöser eines Konflikts begeben, heizen wir ihn weiter an. Für die Beteiligten fühlt sich das so an, als ob die Schuldfrage geklärt werden soll und das funktioniert aufgrund der Dynamik eines Konflikts nicht. Zudem hat ein Konflikt nur äußerst selten den einen Ausgangspunkt, der klar benannt werden kann. Doch weshalb reagieren wir im Konflikt so emotional?

Werte lassen Konflikte eskalieren

Werte sind der Kompass, der uns durch unser Leben leitet – häufig unbewusst. Werte sagen uns, wer wir sind und wie wir uns verhalten. Doch woher kommen unsere Werte?

Wir alle haben ein individuelles Set an Werten, aufgrund der Prägung durch unser Umfeld und unserer persönlichen Lern- und Lebensgeschichte. Dieser subjektive Charakter von Werten zeigt sich in unterschiedlichen Kulturen, Religionen, sozialen Gruppen und in Unternehmen. Werte sind also ein subjektives Konstrukt. Sie sind also für sich genommen weder gut noch schlecht und machen deutlich, was uns wichtig ist und was nicht.

Eskalieren Konflikte, dann liegt das fast immer daran, dass unsere Werte verletzt werden. Häufig erkennen wir nicht, was zur Eskalation geführt hat, suchen die Gründe auf der Sachebene und wundern uns, dass wir dort keine Antwort finden.  In Konflikten wird viel zu selten über Werte geredet – insbesondere im beruflichen Kontext.

Ein Neuanfang

Wenn wir wieder eine lösungsorientierte Ebene finden wollen, müssen wir die emotionalen Aspekte integrieren. Dazu müssen wir uns mit unseren Werten bewusst auseinandersetzen. Aufgrund deren Subjektivität ist das ein wichtiger Schritt hin zu gelungener Kommunikation. Dann erst wird Konfliktklärung möglich – auch ohne Lösung auf der Sachebene. Wenn wir verstehen wollen, was der anderen Seite wichtig ist, erlangen wir ein tieferes Verständnis für den Konflikt und somit mehr Handlungsoptionen.

Ein Konflikt wird auch niemals auf der Sachebene abgeschlossen, sondern stets auf der emotionalen Ebene. Erst wenn wir in der Zukunft und in anderem Kontext nicht erneut auf den alten Konflikt zurückkommen, oder ihn als Begründung für unser Verhalten nutzen, ist er abgeschlossen. Voraussetzung dafür ist Vergebung bzw. Wiedergutmachung. Denn Wiedergutmachung ist ein Akt von Selbstliebe, der zugleich großer Stärke bedarf.

Unsere Verantwortung

Aktuell werden viele Konflikte mit Polemik, Spaltung und Polarisierung unnötig geschürt. Daher halte ich es Heute für wichtiger denn je, dass wir Verantwortung für unsere Haltung in und zu Konflikten übernehmen, sie reflektieren und unsere Perspektiven weiten. Ein Ja zum Konflikt mit Respekt und Achtung für unterschiedliche Interessen, Sichtweisen und für die Andersartigkeit kann gelingen, wenn wir aufrichtig verstehen wollen. Nur dann sehen wir auch klarer, was uns eint und verbindet.

Achten wir zu sehr auf das, was uns unterscheidet, werden wir Konflikte austragen, um als GewinnerIn daraus hervor zu gehen. Das gilt für Konflikte in unseren Beziehungen, in Unternehmen, unserer Gesellschaft und im weltweiten Miteinander. Die Perspektive für eine bessere Zukunft finden wir nur im Erkennen dessen, was uns eint.

Was uns unterscheidet ist offensichtlich. Was uns eint und verbindet müssen wir gemeinsam herausfinden – es ist bewusste Arbeit. Konflikte können wir mit dieser Haltung willkommen heißen – für die Perspektiven, die sie uns bieten. Sie sind eine Chance für unsere persönliche Entwicklung

Ralf Kemler (Coach, Keynote Speaker, Trainer)